Einführungsrede von Monika Maier-Speicher
Unter dem Begriff Angewandte Kunst präsentieren heute und in den kommenden vier Wochen sieben Künstlerinnen Bilder und Objekte. Das sind Ingrid Eckert, Anita González, Andrea Lossen, Angelika Karoly, Angelika Wild-Wagner, Ilsemarie Wülfing aus der GEDOK Heidelberg und als Gast der GEDOK Reutlingen Christine Ziegler.
Doch zunächst eine Begriffsklärung: Was versteht man unter Angewandter Kunst? Laut Definition ist es eine Sparte in der Kunst, deren Objekte in erster Linie eine Gebrauchsfunktion haben. Einem Gebrauchswert wird ein Schönheitswert hinzugefügt und steht damit in Kontrast zur sog. „freien Kunst“. Der Begriff entstand, als sich im 19. Jh. das Kunsthandwerk vom Handwerk zu lösen begann, als Historismus und Jugendstil das „Gesamtkunstwerk“ anstrebten und die Einheit von Kunst und Kunsthandwerk besonders betont wurde. Heute sagt man auch Produktgestaltung und Industrial Design, wobei natürlich im industriellen Prozess ganz andere Kräfte wirksam sind als im „Hand-Werk“. Die wichtigsten Zweige sind Architektur, Buch-, Glas-, Möbel- und Textilkunst, Eisen-, Gold- und Silberschmiedekunst, Keramik, Porzellan und Elfenbeinschnitzerei.1 Ich glaube wir sind uns einig, dass es da fließende Übergänge gibt und das verwendete Material nicht allein ausschlaggebend sein kann, in welche Sparte nun ein Objekt fällt. Die Unterscheidung in „angewandte“ und „freie“ Kunst beruht mitunter auf Wertungen, die einer reflektierten und intersubjektiven Betrachtung kaum standhält. Diese Festlegung kann sich schon lange nicht mehr behaupten. Die Trennlinien haben ihre Schärfe verloren. Das Crossover der klassischen Gattungen wie Comic, Games, Werbung, Fotojournalismus, Design oder Architektur sind im Kunst- und Ausstellungsbetrieb zur Selbstverständlichkeit geworden.
Am ehesten erfüllen die Keramikgefäße von Angelika Wild-Wagner das Kriterium für Angewandte Kunst. Die Funktion als Gebrauchsgegenstand kann eindeutig erkannt werden: Man könnte Blumen oder andere Gegenstände hineinstellen. Allerdings können sie auch ohne weiteres als ästhetische Objekte gesehen werden. Sie bestechen durch ihre klare Formensprache mit geraden Linien und ebenen Flächen. Die durch die Aufbautechnik aus Platten entstandenen Oberflächen werden von der Künstlerin aufwändig gestaltet: In den noch weichen Ton werden textile Strukturen eingeprägt, die nach dem Schrühbrand mit farbigen Engoben eingerieben werden. Danach werden zur Bildung des Musters, Partien vor dem Glasurauftrag geschützt. So entstehen wie Fenster wirkende Stellen, die das darunterliegende Muster erst bewusst machen. Die entstandenen Formen erinnern an das Leben, an Sehnsüchte und an die Natur.
Angelika Karoly arbeitet ebenfalls mit Ton. Ihre oft zweiteiligen Reliefs sind eindeutig der „freien Kunst“ zuzurechnen, wie übrigens auch die Objekte der übrigen Künstlerinnen. Karolys künstlerische Arbeiten haben biografischen Ursprung: Sie ist in Husum am Meer aufgewachsen. Der geradlinige Horizont mit dem weit gespannten Himmel über dem sich bewegenden Wasser hat sich tief in ihre Erinnerung eingegraben und beeinflusst ihre Kunst bis heute. Die kräuselnden Wellen werden in den Reliefs durch eingefärbte Tonpartikel symbolisiert, die die klare Linie des gedachten Horizontes aufbrechen. Dadurch entsteht eine rhythmische Bewegung, die Impulsen gleichen, den umgebenden Raum in Schwingungen versetzt. Farbige Glasuren und Engoben und das Einfärben der Tonmassen in kontrastierenden Tönen bringen dies wirkungsvoll zur Geltung.
Die dritte Tonkünstlerin ist Anita González. In ihren Tondi verarbeitet sie unterschiedlich pigmentierte Tonmassen. Damit definiert sie den Kontrast zwischen der Trägerplatte und ihren agierenden Figuren, die sich über diese Platte bewegen: einmal eng umschlungen und doch abgestoßen, das andere Mal umeinander kreisend, ohne sich zu finden. Für González ist der Ton Träger von Emotionen. Ihre narrativen Tonreliefs erzählen von Paarbeziehungen, von Trennung und Schmerz, „aber auch Verschmelzung zu neuer Innigkeit“, wie sie selbst sagt. Die Körperhaltung von Mann und Frau macht diese Emotionen visuell erfahrbar, der Körper ist zur visuellen Psyche geworden. Diese Art Gefühlen Ausdruck zu verleihen, fußt in der Kunst des Barock, als es den Künstlern zum ersten Mal gelang, echte Gefühle darzustellen.
Auch Ilsemarie Wülfings Thema sind die wechselvollen Gefühle in der zwischenmenschlichen Beziehung. Obwohl die Leiber eng umschlungen sind, handelt es sich um den Schmerz des Abschieds, der am besten mit den eigenen Worten der Künstlerin beschrieben werden kann: „Abschied – ein Teil unseres Lebens / Das Leid ist groß / wenn auch nicht das meine. / Die Lust, der Schoß verzichten auf das Reine / und lenken hin zu Macht und Gier / und wehe dir, du glaubst der Liebe Kraft. / Das kleine Licht, das du erwägst zu seh’n, / wer hat da Schuld, dass es nicht hell genug. / Die Sprache, die wir weitergeben, / enthält bei redlichem Gesteh’n / nur einen Teil aus unsrem Leben.“ Die weichen Linien der Körper rhythmisieren in ihrem abwechselnden Heben und Senken die freistehende Plastik, die dadurch zu atmen scheint.
Christine Ziegler arbeitet mit organischem Material wie Wolle oder Federn. Die hier präsentierte Installation von neun scheinbar gleichen Filzobjekten lässt darauf schließen, dass sie einen gleichen Werkprozess durchlaufen haben: Alle wurden zunächst aus einem noch ungesponnenen Wollvlies gefilzt und über einer Schablone geformt. Aber trotzdem gibt es feine Unterschiede. Die Objekte haben alle den gleichen Durchmesser und die gleiche Öffnung. Doch bei genauerem Hinsehen entdeckt man, dass sich die Kugeln mit ihren Öffnungen nicht alle in die gleiche Richtung ausgerichtet haben, also ihr Schwerpunkt unterschiedlich ist. Die Künstlerin erzählt selbst, wie spannend es ist zu beobachten, in welcher Lage sich das neue Objekt während des Trocknungsprozesses einpendelt. Sichtbar wird ihr Massepunkt an der Richtung ihrer Öffnung.
Auch Ingrid Eckert hat ihren Schwerpunkt im textilen Bereich. Sie arbeitet vorwiegend mit teilweise selbst eingefärbten Seidenmaterialien, die sie ergänzt durch bemalte farbige Papiere, Fotos, Filz- und Plastikelemente, die sie findet. Diese werden auf einen Trägerkarton aufcollagiert oder genäht. Was für Maler der Pinsel ist, ist für Eckert die Nähnadel. In mehreren transparenten Schichten von Seidenorganza entstehen Wandbilder mit einer gewissen Raumwirkung und Plastizität. Dies wird noch verstärkt durch die Drapierung der Stoffe in Falten. Dabei entsteht der Eindruck von Mischfarben, von Nebel, Wiesen und Wasser. In diesen Arbeiten setzt sie sich mit den Veränderungen unserer Landschaft auseinander, die eine Folge sind von z.B. Waldbränden, Sandstürmen, Überflutungen, Ansteigen des Meeresspiegels und Vulkanausbrüchen.
Mit den großformatigen Fotografien und Videos von Andrea Lossen haben wir die dreidimensionale Kunst endgültig verlassen. Mit dem Thema „Wasser“ schließt sich der Kreis zu den Reliefs von Angelika Karoly. Seit zehn Jahren ist die ausgebildete Fotografin mit ihrer Kamera regelmäßig in Neuseeland unterwegs, wo sie auch mit Hilfe einer Drohne Landschaften von oben aufnimmt. Die hier gezeigten Fotografien stammen von 2018. Sie wurden zwar durch ein Bildbearbeitungsprogramm bearbeitet, aber nicht verfremdet. Fotografien sind neben dem Festhalten des Augenblicks immer auch Dokumente. In ihrem hier präsentierten Zusammenhang belegen sie die Wirkung des stetig überspülenden Wassers auf Sand und Steinen, wo es seine Spuren im Laufe vieler Jahrzehnte hinterlässt. Zeigt das harte Sonnenlicht noch die scharfen Kanten des Gesteins, so wirken die Schatten auf der Sandebene unscharf und weich.
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